20
Dez
Stolz schnitten die beiden Bugs durch die Wellen. Leise knarzte es hier und da im erwachten Gebälk. An Deck mischte sich das Gelächter von Kindern in das Pfeifen des Windes durch das Gewirr der Aufbauten. Hier und da waren Kochfeuer in den so lange erkalteten Herden, zog der Geruch von Leben über das Schiff.
Und im großen Obelisken, da wo einige nicht zu Unrecht die Seele des Schiffes vermuten werden die Veränderungen begutachtet.
Es ist gut so, endlich ist man wieder Teil des Lebens.
Es ist gut so, der Würgegriff ist endlich abgeschüttelt.
Es ist gut so, es leben wieder Menschen auf dem Schiff..
…Menschen?
22
Nov
Der Admiral lehnte sich zurück. Endlich war sein Schiff unterwegs, endlich bekam er die Crew auf die er so lange gewartet hat. Endlich konnte er seine Strafexpedition durchführen.
Endlich, nach all der Zeit.
Sorgfältig überprüfte er den Kurs. Alles stimmte. Natürlich würde die Reise ins Zielgebiet noch ein wenig dauern, aber wie heisst es so schön? Besser spät als nie. Und bis dahin konnte er in Ruhe den Angriffsplan überdenken, die Mannschaft drillen, Strategien formulieren..
Mintelberg seufzte. So viel zu tun. Soviele Dinge an die er denken musste, jetzt wo er die Basis verlassen hatte, nicht mehr direkten Zugriff au-
Nein! Er durfte sich nicht von diesem Mann abhängig machen. Alles was benötigt würde, war nun in seiner Hand. Dazu noch dieser neue Offizier, ein wenig aufmüpfig zwar, aber das würde sich noch geben. Leutnant Bargwurz hatte sich am Ende auch in sein Schicksal ergeben, genau wie Ritter Kellanwet und die beiden Knappen.
Ja, alles lief nach Plan. Diese Rebellen werden sich noch wundern…
4
Mai
Nachdenklich beugte Mr. Roberts, frischgebackener Navigator der Perle der See über die Karte. Drago-Geheimzeichen bildeten den größten Teil der Legende. Einige der lesbaren Kommentare waren so kryptisch formuliert, dass er nicht sagen konnte, ob sie auf sichere Häfen hinwiesen oder vor Gefahren warnten.
Das Wort „Maelstrom“ dort im Osten verhieß sicher nichts gutes, und die gekreuzten Gebeine unter dem Dragoschädel hier im Südwesten garantiert ebenso.
Seufzend rollte er die Karte zusammen — sollte doch Kapitän Pelz entscheiden welcher Kurs der Beste sei!
12
Apr
Calar Diomedea warf sich in seiner Hängematte unruhig hin und her. Nur mit Mühe hatte er in die elfische Meditation finden können, und selbst diese brachte ihm nicht die gewöhnliche Ruhe. Die Worte des kleinen Halblings mit dem großen Herzen hallten in seinem Kopf wieder „Man kann diese armen Sklaven doch nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, was sagt dein Gott dazu?“ — „Das Meer gibt, und das Meer nimmt“, hatte Calar mit einem Achselzucken geantwortet.
Wieder und wieder fuhren die Worte von Fergus und seine eigene Antwort über Calar hinweg. Hin und her, wie die Wellen des Meeres. Das Meer gibt… das Meer nimmt…
Rauschend breitete sich das endlose Wasser unter dem Albatross Calar aus. In keiner Himmelsrichtung war Land zu sehen, und nichts anderes erwartete er. Calar war an einem perfekten Ort, so nah an Or-Koris wie nie zuvor. Plötzlich erblickte er eine Insel in Or-Koris‘ Meer. Neugierig flog er näher, verwundert was das zu bedeuten habe. Auf der Insel sah Calar eine Gestalt, humanoid, und in Roben gewandet. Ein Priester von Or-Koris. Warum war dieser auf einer Insel, fragte sich Calar, da bemerkte er, dass aus den Ärmeln der Robe Sand rieselte.
Der Priester, abwesend oder gar extatisch damit beschäftigt die heiligen Gesten zu vollführen, merkte gar nicht, dass er beim Beten und Lobpreisen den Sand verstreute, und die Insel langsam größer wurde. Bald begann sich um den Priester gar ein Tempel zu erheben, und Calars Herz frohlockte, denn es war der größe und schönste Tempel zu Or-Koris Ehren, den er je gesehen hatte. Nun würde sich Or-Koris nicht mehr hinter Elegil verstecken brauchen, oder hinter anderen „Heiligen“ zurückstehen!
Und schon war der prachtvolle Tempel fertiggestellt. Der Priester begann den Segen zu sprechen, der den Tempel Or-Koris übergeben sollte, als Wind aufkam, und mächtige Wellen das Fundament umspülten. Bevor sich das Entsetzen ganz in Calar dem Albatross ausgebreitet hatte, war der prunkvolle Schrein zerfallen, die Insel in den Wellen versunken.
Verständnislos drehte er seine Kreise über den überspülten Ruinen. Warum hatte Or-Koris den Tempel zerstört?
Calar wachte schweißgebadet auf. Aufgebracht ging er an Deck um sich vorsichtig der Reling zu nähern. Sein Blick streifte über die Küste, über den Himmel und blieb letztendlich doch an den Wellen hängen, in denen sich schwach das Sternenlicht wiedespiegelte. Was wollte ihm seine Vision sagen? War Or-Koris erzürnt?
Nach einer ganzen Weile glaubte er zu verstehen. Das Meer gibt, das Meer nimmt. Nicht der Mensch. Der Priester in seinem Traum hatte sich angemaßt zu entscheiden, etwas zu geben. Dabei gab es einen guten Grund, warum nur Schiffe zu Tempeln von Or-Koris gemacht wurden. So blieb die Entscheidung letztendlich in der Hand des Gottes. Und genauso war es anmaßend, die Lebewesen im Laderaum als Sklaven zu halten. Nur die Götter, oder die Lebewesen selbst hatten das Recht, über ihr Schicksal zu entscheiden. Der Drago durfte nicht einfach nehmen.
Elegils Edikt gegen die Sklaverei stand im Einklang mit Or-Koris Gesetzen, und vielleicht war es sogar die Verbindung mit den anderen Mitgliedern der Heiligen Familie, die Or-Koris zu dem machte, was Calar beeindruckte. Denn war nicht auch der Albatross zwar eine Kreatur von Or-Koris, aber gleichzeitig ein Bote an den Erzengel Drekon? Diese Dragos scherten sich kein bißchen um die Gesetze oder den Glauben der Catarer, und das zeigten sie deutlich…
29
Mrz
Die See hält viele Legenden und Geschichten bereit. In den Schänken der Hafenstädte erzählen bärbeißige Seeleute von Fischen, so groß wie ein Haus, von gefährlichen Haien und riesigen Kraken, von Unwettern und wandernden Riffen. Und manchmal, wenn die Männer betrunken und verängstigt sind, dann sprechen sie von den Verfluchten Or-Koris, den Meerjungfrauen.
Auch wenn kaum ein Seemann von sich behaupten kann, je eine gesehen zu haben: Jeder, der Or-Koris Reich befährt, glaubt fest an ihre Existenz. Es heisst, sie seien die wiedergeborenen Seelen talorischer Seehexen, auf ewig dazu verdammt in der Zwischenzone von Luft und Wasser zu leben. Ihr Körper muss stets feucht gehalten werden, ihr Fischschwanz verbietet es ihnen sich an Land fortzubewegen — und doch müssen sie Luft atmen und frieren in kaltem Wasser.
Es verwundert nicht, dass solche Geschöpfe von steter Wut auf ihr Schicksal erfüllt sind, und jeder Seemann fürchtet eine Begegnung mit ihnen: Man sagt, dass demjenigen der eine Meerjungfrau erblickt oder gar ihr Wehklagen hört ein schlimmes Schicksal ereilen wird…
(für die Untermalung: The Decemberists — „The Mariner’s Revenge Song“)
22
Mrz
Shelly und seine Crew waren in Hochstimmung — wer hätte geahnt, dass es so einfach sein würde das mächtige Haus Rassk auszurauben. Wahrscheinlich hatte niemand damit gerechnet, dass die Crew des Dunklen Falken so dreist sein würde: Sie gaben sich einfach als diejenigen aus, die die wertvolle Fracht verschiffen sollten.
Übernommene Identitäten, gestohlene Codewörter, ein geschickt gefälschter Brief — das hat ausgereicht, um die vier schweren Schatztruhen in Empfang zu nehmen. Und mit dem halben Dutzend Dragowachen konnten sie in einem Moment der Nachlässigkeit kurzen Prozess machen. Nun mussten sie nur noch die Schätze gewinnbringend verkaufen, und sie hätten alle für immer ausgesorgt. Shelly lehnte sich in die Seile und genoss den Wind auf seinem Gesicht — das Leben war gut.
Seit zweihundert Jahren gilt unter den hohen Familien der Dragos eine Regel: Wer den heiligen Zahn Drakkhars von Ravenstein hält, dessen Stimme hat im Drachenrat Gewicht.
Die letzten fünfzig Jahre hielt Haus Rassk diese Ehre, doch nun wurde er gestohlen! Gold, Geschmeide und Artefakte — all das haben sie sich angeeignet, und eben den Heiligen Zahn, versteckt in einem goldverzierten Buch.
Berauscht von ihrem Erfolg, nicht ahnend was für einen Frevel sie begangen haben, segeln die Diebe über das Süßwassermehr, nicht ahnend was für eine Jagd nun auf sie eröffnet würde. Welches Dragohaus würde sie wohl als erstes finden?
15
Mrz
…schon zwei Heldengruppen hatten innerhalb kürzester Zeit das Dorf erreicht und die Prüfung bestanden. Unter den Dorfbewohnern war eine intensive Diskussion im Gange, welches Vorgehen wohl das Edlere war: Einer Konfrontation mittels Heimlichkeit und nächtlichem Schleichen aus dem Weg zu gehen, oder im Zweifelsfall für das eigene Vorhaben und das Wohl Aller mit der Waffe in der Hand einzustehen?
Gerade wollte Orrlof Rabenzeh darauf hinweisen, dass die Gruppe um den Priester ja wenigstens sicher niemanden verletzen wollte, da ertönte der Warnruf vom Wachturm: Sir Kinsbane und die Seinen verließen gerade die Höhle!
Der Leichnam von Urias, dem Berg der Rabenbucht war geborgen, seine Seele aus dem Dunkel der Hexerhöhle befreit. Behutsam bahrte Paladin Khan den toten Körper vor dem Langhaus auf, während sein Freund Sir Kinsbane zu den Dorfbewohnern sprach:
„Unser Ziel haben wir hier nicht erreicht — Derkan Staubflügel hat nichts hinterlassen was uns hilft. Aber wir können einem Helden des Reiches endlich die letzte Ehre erweisen.“
„Schau was ich gefunden habe Ahn!“
Die kleine Miral setzte sich auf seine knochigen Knie und reckte ihren Fund in die Höhe: Über das Palmblatt krabbelte langsam und bedächtig eine fast ausgewachsene Raupe.
„Hervorragend Miral!“ lobte er das Mädchen bedächtig. „Und, weisst Du auch was für eine Raupe das ist?“
Nachdenklich besah sich die Kleine das Tier. „Sie hat zwanzig Beine, und ihre Haut ist fast schon grau. Dafür hat sie aber grüne Fühler und Augen die wie kleine rote Beeren aussehen. Und schau, untenrum ist sie auch ganz grün.…“
Seine Gedanken schweiften ab, während Miral immer noch weiter die Merkmale der Raupe aufzählten. Manchmal fiel es ihm schwer den Kleinen länger zuzuhören, sie waren einfach zu … hastig für ihn.
…und dann ist da noch dieses Zeichen hier auf dem Rücken, sie sieht genauso aus wie Du Ahn. Es ist ganz sicher ein Schädelspinner, richtig?“
Zufrieden blickte er das Mädchen an. Was war sie, seine Urenkelin? Nein, eher deren Enkeltochter. Seit seiner Verwandlung fiel es ihm zunehmend schwer, die Generationen auseinanderzuhalten.
„Ja Miral, es ist ein Schädelspinner. Und nun lauf, und zeige die Raupe Deiner Mutter, Dein alter Ahn Derkan hat noch zu tun.“
Lachend und aufgeregt sprang das Mädchen von seinem Schoß und lief los. Kurz drehte sie sich um und winkte Derkan Staubflügel und den anderen Urahnen zu, bevor sie endgültig die Höhle der Mumien verliess…
Unwirsch zog er den Mantel enger um sich. Der verfluchte Regen setzte ihm ziemlich zu, und das Ziehen in seinem Rücken sagte ihm, dass sich das Wetter wohl so bald auch nicht ändern würde.
„Was solls“, dachte er sich, „heute wird die Jagd endlich ein Ende haben.“ Schon seit mehreren Monaten verfolgte er nun schon die Spur dieses Hexers. Die letzten drei von ihnen fast ohne Schlaf und ohne wirkliche Rast. Bis auf gestern — die Fischer waren zwar Heiden, aber wenigstens freundlich. Und vielleicht würden sie sogar ihr Versprechen halten…
Grimmig starrte er auf den Eingang vor sich. Aus den Tunneln konnte er leise einen unheimlichen Gesang vernehmen. Ein letztes Mal überprüfte er seine Ausrüstung. Den schützenden Ledermantel. Das heilige Schwert an seiner Hüfte. Den Beutel mit Salz und Schrot.
Seine Hand umschloss fest den Stab den er von dem alten Druiden vor Kiraz erhalten hatte. Heute würde die Jagd enden, so oder so.
„Hörst Du Staubflügel? Heute bist Du fällig!“ Noch ein tiefer Atemzug, dann betrat der Mann den sie den Berg nannten entschlossen die Höhle..
22
Feb
„Ist da wer?“
Der Ruf hallt durch die modrigen Gänge und Kammern.
„Ich höre Euch doch! Kommt her…“
Doch niemand kommt. Es bleibt dunkel und kalt und nass. Nicht dass er die Kälte oder die Feuchtigkeit in der Luft spüren würde. Schon lange nicht mehr. Wie lange ist es her, dass er zuletzt etwas gefühlt hatte? Hatte er überhaupt irgendwann einmal etwas gefühlt? Er erinnert sich nicht mehr.
„Wer ist da?“
Immer noch niemand. Doch nur der Wind. Oder etwas Seewasser, dass eingedrungen ist. Aber sicher, irgendwann wird jemand kommen…