Wir hatten den Insel-Posten der Dragos also hinter uns gelassen. Ein Angriff schien uns doch zu gefährlich, und wir hatten ja jetzt auch die Verantwortung für die Mannschaft. In der Nähe der Küste suchten wir einen Fluss und dann sammelten wir Frischwasser, frisches Essen und etwas Holz ein. Weiterlesen
4
Mai
Nachdenklich beugte Mr. Roberts, frischgebackener Navigator der Perle der See über die Karte. Drago-Geheimzeichen bildeten den größten Teil der Legende. Einige der lesbaren Kommentare waren so kryptisch formuliert, dass er nicht sagen konnte, ob sie auf sichere Häfen hinwiesen oder vor Gefahren warnten.
Das Wort „Maelstrom“ dort im Osten verhieß sicher nichts gutes, und die gekreuzten Gebeine unter dem Dragoschädel hier im Südwesten garantiert ebenso.
Seufzend rollte er die Karte zusammen — sollte doch Kapitän Pelz entscheiden welcher Kurs der Beste sei!
20
Apr
Wir hatten also unser eigenes Schiff. Des Meer hatte gegeben, und zwar gut. Nun mussten wir zusehen wie wir an Vorräte kommen würden. Or-Koris hatte uns sicher in den kleinen Hafen von Trakha geführt, und ehe ich mich versehen hatte, war ich der Verhandlungsführer mit dem lokalen Sprecher.
Nach einigem hin und her (und ein paar Experimenten von Fergus) hatten wir uns geeinigt. Wir waren 280 Gold, 15 Kanonen und das Rezept für Schwarzpulver ärmer und hatten 21 befreite Sklaven hier zurückgelassen. Wir hatten diese natürlich noch einmal auf die Ungewissheit ihres Schicksals hier aufmerksam gemacht, was auch einige überzeugte bei uns zu bleiben, aber diese 21 trennten sich von uns. Hoffentlich würden ihre Seelen zu Drekon finden. Dafür waren wir um Vorräte für einen Monat und einen Laderaum voll Knoblauch reicher.
Unser nächstes Ziel war der sogenannte Stiefelfelsen, ein Versorgungs-Stützpunkt der Dragos, wo wir hofften leichte Beute an Schwarzpulver zu machen. Auf dem Weg erblickten wir noch von weitem eine Meerjungfrau, aber wir konnten sie weit umschiffen, und ich versuchte auch etwaigen Aberglauben mit einem Gebet an Or-Koris im Zaum zu halten.
Als wir die Insel am Horizont erblicken konnten warteten wir erst einmal die Nacht und den Schutz der Dunkelheit ab, um uns dann vorsichtig der Insel zu nähern und bald auf ein Ruderbot zu wechseln. Mit diesem landeten wir erst an einer kleinen Vorinsel an. Dort fanden wir sogar einen vergessenen Vorratsraum, aber sonst weder Spuren noch etwas anderes hilfreiches.
Das Meer zwischen diesem Eiland und der größeren, felsigen Insel war ein Zeichen und Mahnmal für den nehmenden Aspekt von Or-Koris: Mindestens sieben Schiffe lagen auf den Riffen, welche die Insel schützten. Vorsichtig begannen wir uns mit dem Ruderbot der Stelle zu nähern, wo wir eine Ruine eines Leuchtturms ausmachen konnten.
Als wir näher kamen, schien hinter einer Klippe Licht hervor, und ein Stück weiter konnten wir dann sehen, dass quasi ein kleines Dorf an die Felswand gebaut worden war. Darunter befand sich ein Anlegeplatz und eine Höhle, und uns war sofort klar, das wir, sofern wir uns nicht endgültig der Piraterie verschreiben wollten, nicht diese Siedlung von Menschen und Dragos angrifen würden.
Da die sonstigen Felsen der Insel wenig einladend schienen, beschlossen wir noch die Insel zu umrunden, dann aber wahrscheinlich unserer Wege zu ziehen. Am anderen Ende der Insel konnten wir noch einen kleine Bucht, die einem Ruderbot das Anlegen ermöglichen würde erkennen, und beschlossen nun in Ruhe auf unserem Schiff noch einmal über alles nachzudenken.
19
Apr
Das muss man den Catareren lassen, wenn es etwas gibt, das sie zum handeln motiviert, das sie beschreibt und definiert, dann ist es der Drang zur Freiheit. Darin sind sie den Elben sehr ähnlich.
Es gibt wenig scheußlicheres als Sklaverei.
Nachdem wir uns also ein paar Wochen lang das Schauspiel der Dragon angeschaut hatten, wurde es Zeit, dass Calan und ich unseren Plan in die Tat umsetzen sollten. Zuerst weihten wir unsere Gefährten ein. Calan und ich hatten beschlossen, dass wir die Sklaven auf diesem Schiff befreien wollten.
Keine Schiffspassage, keine Eile, kein Konkurrenzkampf gegen Ser Kinsbane kann so wichtig sein, als dass man diese Gefangenen der Sklaverei überlassen sollte. Unser Plan war einfach und effektiv. Wir wollten alle Dragos mit Hilfe einer Kräutertinktur vergiften und dadurch unschädlich machen. Danach würden wir die Sklaven befreien und mit ihrer Hilfe weiter nach Batar fahren.
Tatsächlich funktionierte unser Plan erschreckend gut.
Aber so ist es. Wer gegen Sklaverei vorgeht, auf den blicken die Ahnen und wohl auch diese catarischen Erzengel wohlwollend. Fergus erwies sich als unglaublich große Hilfe. Jeder weiß, dass Halblinge reichhaltige Speisen generieren können. Und auch, wenn ich diese Verschwendung mit einem lachenden aber auch einem weinenden Auge sehe, so hat sie hier ihre Wirkung getan.
Fergus bot dem Smutje an, dass er gern in der Küche mit aushelfen könne, und dieser biss sofort darauf an, da es sich wohl heute um den Geburtstag der Captains handelte und er gern auf die Hilfe eines Halblings zurückgreifen würde. So hatte uns das Schicksal also auch den Tag genannt, an dem wir unseren Plan umsetzen sollten. Heute.
Fergus zauberte einen Nachtisch, den die Dragos so schnell nicht vergessen würden. Glücklicherweise hatte ich noch eine Flasche dieses mysteriösen Dragoblutweins bei mir, so dass wirklich kaum jemand diesem Nachtisch widerstehen konnte, nachdem wir Fergus‘ berühmten Brotpudding in diesem Wein getränkt hatten.
Calan nahm den Dragos die Schlüssel und Waffen ab und wir teilten uns auf. Während er unter Deck ging um die Sklaven zu befreien, suchte ich die Waffenkammer, um die Sklaven bewaffnen zu können. Glücklicherweise fand ich neben diesen seltsamen alten cibolanischen Donnerwaffen auch noch die echte Waffenkammer, so dass wir die Befreiten mit Speeren und Säbeln ausstatten konnten.
Vielleicht hatten wir die Menschen etwas unterschätzt, oder aber die wenigen Wochen unter Deck hatten sie doch mehr vergrätzt, als wir Elben dachten. Jedenfalls war es geradezu ein Wunder, dass Calans Silberzunge die Meute davon abhalten konnte sofort alle Dragos niederzumachen. Stattdessen konnten wir die Überlebenden in ein Beiboot bringen und auf See aussetzen.
Nachdem das recht gut funktioniert hatte, war uns klar, dass es jetzt weiter nach Batar gehen würde. Doch weit gefehlt. Ich kann die Sklaven gut verstehen, dass sie gern in ihre Heimat fahren möchten, aber ein paar Monate mehr oder weniger…
So blieb uns also nichts anderes übrig, als eine eigene Mannschaft zu bilden: Wir ernannten Walter flugs zum Kapitän. Ich wurde der erste Maat und Waffenmeister. Wiegand war der Zeugmeister. Fergus wurde der Smutje und Calan… nun er war der Priester.
Wir entschieden also, dass die jenigen, die nicht unter unserer Flagge segeln wollten, am nächsten Hafen austeigen durften. Der Rest würde mit uns nach Batar reisen.
12
Apr
Calar Diomedea warf sich in seiner Hängematte unruhig hin und her. Nur mit Mühe hatte er in die elfische Meditation finden können, und selbst diese brachte ihm nicht die gewöhnliche Ruhe. Die Worte des kleinen Halblings mit dem großen Herzen hallten in seinem Kopf wieder „Man kann diese armen Sklaven doch nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, was sagt dein Gott dazu?“ — „Das Meer gibt, und das Meer nimmt“, hatte Calar mit einem Achselzucken geantwortet.
Wieder und wieder fuhren die Worte von Fergus und seine eigene Antwort über Calar hinweg. Hin und her, wie die Wellen des Meeres. Das Meer gibt… das Meer nimmt…
Rauschend breitete sich das endlose Wasser unter dem Albatross Calar aus. In keiner Himmelsrichtung war Land zu sehen, und nichts anderes erwartete er. Calar war an einem perfekten Ort, so nah an Or-Koris wie nie zuvor. Plötzlich erblickte er eine Insel in Or-Koris‘ Meer. Neugierig flog er näher, verwundert was das zu bedeuten habe. Auf der Insel sah Calar eine Gestalt, humanoid, und in Roben gewandet. Ein Priester von Or-Koris. Warum war dieser auf einer Insel, fragte sich Calar, da bemerkte er, dass aus den Ärmeln der Robe Sand rieselte.
Der Priester, abwesend oder gar extatisch damit beschäftigt die heiligen Gesten zu vollführen, merkte gar nicht, dass er beim Beten und Lobpreisen den Sand verstreute, und die Insel langsam größer wurde. Bald begann sich um den Priester gar ein Tempel zu erheben, und Calars Herz frohlockte, denn es war der größe und schönste Tempel zu Or-Koris Ehren, den er je gesehen hatte. Nun würde sich Or-Koris nicht mehr hinter Elegil verstecken brauchen, oder hinter anderen „Heiligen“ zurückstehen!
Und schon war der prachtvolle Tempel fertiggestellt. Der Priester begann den Segen zu sprechen, der den Tempel Or-Koris übergeben sollte, als Wind aufkam, und mächtige Wellen das Fundament umspülten. Bevor sich das Entsetzen ganz in Calar dem Albatross ausgebreitet hatte, war der prunkvolle Schrein zerfallen, die Insel in den Wellen versunken.
Verständnislos drehte er seine Kreise über den überspülten Ruinen. Warum hatte Or-Koris den Tempel zerstört?
Calar wachte schweißgebadet auf. Aufgebracht ging er an Deck um sich vorsichtig der Reling zu nähern. Sein Blick streifte über die Küste, über den Himmel und blieb letztendlich doch an den Wellen hängen, in denen sich schwach das Sternenlicht wiedespiegelte. Was wollte ihm seine Vision sagen? War Or-Koris erzürnt?
Nach einer ganzen Weile glaubte er zu verstehen. Das Meer gibt, das Meer nimmt. Nicht der Mensch. Der Priester in seinem Traum hatte sich angemaßt zu entscheiden, etwas zu geben. Dabei gab es einen guten Grund, warum nur Schiffe zu Tempeln von Or-Koris gemacht wurden. So blieb die Entscheidung letztendlich in der Hand des Gottes. Und genauso war es anmaßend, die Lebewesen im Laderaum als Sklaven zu halten. Nur die Götter, oder die Lebewesen selbst hatten das Recht, über ihr Schicksal zu entscheiden. Der Drago durfte nicht einfach nehmen.
Elegils Edikt gegen die Sklaverei stand im Einklang mit Or-Koris Gesetzen, und vielleicht war es sogar die Verbindung mit den anderen Mitgliedern der Heiligen Familie, die Or-Koris zu dem machte, was Calar beeindruckte. Denn war nicht auch der Albatross zwar eine Kreatur von Or-Koris, aber gleichzeitig ein Bote an den Erzengel Drekon? Diese Dragos scherten sich kein bißchen um die Gesetze oder den Glauben der Catarer, und das zeigten sie deutlich…
Wir saßen grade noch im Messerhaus und überlegten uns, wie wir denn jetzt an die von den Dragos geforderten 40 Gold kommen würden, als Or-Koris die Frage beantwortete. Das Meer gab, und zwar den (menschlichen) Kapitän eines schnellen Drago-Schiffs, der bereit war uns für etwas Hilfe bei einem kurzen Unterfangen mit Piraten rechtzeitig und entlohnt zum verpassten Schiff zu bringen. Ein so gutes Angebot konnten wir nicht ablehnen, und auch die anderen erkannten den Wink von Or-Koris und so gingen wir an Bord der Schwarzperle. Es schien, als hätten ein paar einfache Seeräuber durch einen glücklichen zufall einen großen Schatz in Form von 4 Kisten ausgerechnet den Dragos gestohlen. Der Kapitän hatte gute Informationen über das Versteck der Diebe, und wir versuchten deren Schiff noch vor Erreichen des Verstecks abzufangen.
Das Abfangen gelang auch, aber die Gegner konnten sich mit Hilfe einer Arbaleste und einer Art Treibanker-Bolzen unserer fast erwehren, bis Fergus völlig tollkühn (wahrscheinlich von den Dragos und deren Kapitän angespornt) sich in die Segel der Feinde katapultieren ließ und diese entzündete. beim Versuch der Pfeil-Antwort der Besatzung zu entgehen wärten dann nicht nur er, sondern auch der Kapitän um ein Haar zu Or-Koris geholt worden, aber es war wohl noch nicht an der Zeit und mein Gott erwies sich gnädig. Das feindliche Schiff gestellt, stellten wir fest das sich darauf nur eine Notmannschaft befand, um Verfolger (wie uns) von dem gestohlenen Schiff mit der Beute abzulenken.
Also mussten wir doch in Richtung des Verstecks weiterreisen. Von der gefangenen Mannschaft über alle wichtigen Details informiert segelten wir im schutze der Dämmerung auf dem Piratenschiff an das vermisste Schiff heran. Zügig überwältigten wir die Wachen, aber der Wachposten auf einem Holzturm auf der Insel bemerkte uns und schlug Alarm. Wir setzten schleunigst zur Insel über und bemerkten sofort die Spur vor etwas, was wir für die besagten vier Kisten Beute hielten. Diese führe uns, neben einer gekappten Brücke, welche uns nicht lange aufhielt, an den anderen Strand der Insel, wo wir die Gauner stellten, bevor sie sich davon machen konnten. Der Kapitän besiegte den Gegner im Duell und wir waren um einen ordentlichen Anteil der Beute reicher. Nach einem kurzen Stopp um die Beute loszuwerden bei dem wir uns mit Heilmitteln ausrüsteten und auch glücklicherweise daran dachten unsere versprochene Belohnung im Rilos-Tempel abzuholen, ging es dann endlich auf zur Perle der Südsee, und damit in unbekannte Gewässer…
Der Drago-Kapitän der Perle war weniger glücklich über uns als Passagiere, als wir erwartet hätten, aber wahrscheinlich lag das besonders daran, dass wir nun dank unseres Handels nicht als zahlende Gäste mitfuhren. Nach ein paar Tagen bemerkten wir, dass der Drago, wie es bei den Dragos üblich ist, Sklaven an Bord hatte. Mir und Kiirion war nach einem kurzen Gespräch mit den Gefährten klar, dass diese mit ihren hektischen Naturen die Situation nicht angemesser beurteilen konnten, weswegen wir Elben erst einmal unter uns planten. Einige Besuche unter Deck zeigten mir den Gesundheitszustand und die Anzahl der Sklaven, und nach einiger Augenwischerei auch, dass ein paar Elben-Sklaven vor meinen Besuchen in der Brig versteckt wurden.
Mit jeder Stunde entfernten wir uns weiter von der uns gewohnten Gegend, was wir auch an seltsamen Riesenfischen und noch ungewöhnlicheren Meeresgetier wie einem Seedrachen bemerkten. Diese schienen sich aber glücklicherweise damit zu begnügen in unserem Heckwasser von unseren Abfällen zu leben. Ich war mir ziemlich sicher, dass Or-Koris mir sagen wollte, das dies nunmal der Gang des Lebens sein, und es immer einene größeren Fisch gäbe, aber während ich die Wunden der Gefangenen versorgte und ihnen Mut zusprach war mir dennoch ob ihres Schicksals unwohl.
Wir alle versuchten Informationen zu sammeln, wie lange sie Sklaven an Bord bleiben würden, und was noch so auf uns zukommen würde. Uns wurde klar, dass wir die Sklaven, wenn wir denn etwas unternehmen wollten, innerhalb der nächsten 2–3 Wochen angehen müssten, da sie danach an einem Hafen auf dem Weg verkauft werden sollten. Sie aus dem Schiff zu schmuggeln oder freizulassen erschien, auch aufgrund der gefährlichen Ungeheuer im Wasser, keine erfolgversprechene Option, aber zum Glück stellten wir fest, dass ein Großteil der Gefangenen Seeleute waren, die uns sicher mit dem Schiff helfen können würden, wenn wir es darauf anlegen würden. Kiirion und ich offenbarten den anderen unseren Plan kurz nachdem wir die Meeresenge zum Giftigen Meer durchquert hatten.
Wir würden die Drago-Mannschaft mit Hilfe von Kräutern unter Drogen setzen oder sogar betäuben und dann mit dem Schlüssel vom Quartiersmeister die Gefangenen befreien. Dann könnten wir uns der Dragos entledigen, und mit den befreiten Sklaven die weiterreise antreten.
Leider sahen unsere Gefährten, jeder für sich, die Sache unterschiedlich, und jetzt diskutieren wir immer noch was die beste Herangehensweise ist. Ich denke, dass wir die Sklaven nicht vom Schiff bekommen, ohne es uns mit den Dragos zu verscherzen, und deswegen diese ausschalten müssen. Wiegand möchte, ob des Vertrauens in die See-Kenntnis der Dragos, lieber mit diesen weitersegeln. Ich denke ja das der Navigator-Sklave uns genauso gut die Richtung weisen würde, und finde es sowieso seltsam, wo Wiegand doch immer sagt, dass wir gar keine Aufgabe auf Bataar haben, warum er jetzt gegen die potentielle Übernahme des Schiffe ist. Wir werden am besten darüber schlafen und dann weitersehen…
29
Mrz
Die See hält viele Legenden und Geschichten bereit. In den Schänken der Hafenstädte erzählen bärbeißige Seeleute von Fischen, so groß wie ein Haus, von gefährlichen Haien und riesigen Kraken, von Unwettern und wandernden Riffen. Und manchmal, wenn die Männer betrunken und verängstigt sind, dann sprechen sie von den Verfluchten Or-Koris, den Meerjungfrauen.
Auch wenn kaum ein Seemann von sich behaupten kann, je eine gesehen zu haben: Jeder, der Or-Koris Reich befährt, glaubt fest an ihre Existenz. Es heisst, sie seien die wiedergeborenen Seelen talorischer Seehexen, auf ewig dazu verdammt in der Zwischenzone von Luft und Wasser zu leben. Ihr Körper muss stets feucht gehalten werden, ihr Fischschwanz verbietet es ihnen sich an Land fortzubewegen — und doch müssen sie Luft atmen und frieren in kaltem Wasser.
Es verwundert nicht, dass solche Geschöpfe von steter Wut auf ihr Schicksal erfüllt sind, und jeder Seemann fürchtet eine Begegnung mit ihnen: Man sagt, dass demjenigen der eine Meerjungfrau erblickt oder gar ihr Wehklagen hört ein schlimmes Schicksal ereilen wird…
(für die Untermalung: The Decemberists — „The Mariner’s Revenge Song“)
22
Mrz
Shelly und seine Crew waren in Hochstimmung — wer hätte geahnt, dass es so einfach sein würde das mächtige Haus Rassk auszurauben. Wahrscheinlich hatte niemand damit gerechnet, dass die Crew des Dunklen Falken so dreist sein würde: Sie gaben sich einfach als diejenigen aus, die die wertvolle Fracht verschiffen sollten.
Übernommene Identitäten, gestohlene Codewörter, ein geschickt gefälschter Brief — das hat ausgereicht, um die vier schweren Schatztruhen in Empfang zu nehmen. Und mit dem halben Dutzend Dragowachen konnten sie in einem Moment der Nachlässigkeit kurzen Prozess machen. Nun mussten sie nur noch die Schätze gewinnbringend verkaufen, und sie hätten alle für immer ausgesorgt. Shelly lehnte sich in die Seile und genoss den Wind auf seinem Gesicht — das Leben war gut.
Seit zweihundert Jahren gilt unter den hohen Familien der Dragos eine Regel: Wer den heiligen Zahn Drakkhars von Ravenstein hält, dessen Stimme hat im Drachenrat Gewicht.
Die letzten fünfzig Jahre hielt Haus Rassk diese Ehre, doch nun wurde er gestohlen! Gold, Geschmeide und Artefakte — all das haben sie sich angeeignet, und eben den Heiligen Zahn, versteckt in einem goldverzierten Buch.
Berauscht von ihrem Erfolg, nicht ahnend was für einen Frevel sie begangen haben, segeln die Diebe über das Süßwassermehr, nicht ahnend was für eine Jagd nun auf sie eröffnet würde. Welches Dragohaus würde sie wohl als erstes finden?
Endlich sollten wir diese verfluchte Höhle verlassen. Sir Kinsbane und sein Gefolge waren schon wieder Richtung Urias‘ Wacht aufgebrochen und nun sollten auch wir diesen Ort verlassen.
Dieser Sir Kinsbane erregt die Gemüter meiner Mitstreiter doch sehr. Während er unabstreitbar ein Held und Streiter für das Gute ist, so hegt zumindest Fergus einen offenen Groll gegen den Ritter. Walter ist auch offen gegen den Helden Gornemündes und Wiegand verlangt nach Handlungsanweisungen, wie wir uns Kinsbane gegenüber verhalten wollen.
Wahrscheinlich ist es das, was Menschen so… einzigartig macht. Walter und auch Wiegand stritten mit uns, ob wir denn nun mit Kinsbane zusammenarbeiten sollen, dann aber auch voll und ganz, oder ob wir gegen ihn arbeiten sollen. Calans Einschätzung traf so sicher ins Schwarze, wie ein Elbenpfeil: Natürlich liegt die Antwort in der Mitte.
Dass Sir Kinsbane uns ein weiteres mal zu einer lautstarken Diskussion getrieben hat, belegt ja nur, dass er bereits jetzt eine ziemlich Macht über uns ausübt. Wir einigten uns jedenfalls darauf, dass wir im grunde so weiter machen, wie bisher: Nicht zu viel preisgeben, nicht zu viel behindern…
Wir verließen jedenfalls die Höhle und bemerkten sofort, dass Sir Kinsbane offenbar auch einen großen Einfluss auf die Dorfbewohner hatte. Der Wachturm, der den Höhleneingang bewachen sollte, war nicht mehr besetzt. Wir eilten also ins Dorf und bekamen gerade noch mit, dass Sir Kinsbane große Verkündungen machte:
Der Fluch sei gebrochen, die Bewohner, würden für ihre treuen Dienste am Reich durch die Kirche belohnt werden, Urias würde hier eine Beerdigung erhalten und wir, die guten Streiter aus Gornemünde würden uns eine Belohnung im Rilostempel in Catar abholen können.
Er nimmt das Ruder in die Hand, das muss man ihm neidlos zugestehen.
Urias wurde sogleich durch eine ergreifende Beerdigung den Händen Drekons überlassen. Sir Khan, der Paladin hielt eine Zeremonie ab, die sehr bewegend war. Er hoffe, dass Urias Seele nach der langen Zeit der Qual in der Hexerhöhle nun endlich Ruhe und Frieden finden könne. Allerdings zweifelte er bereits daran, da Urias‘ Schwert wohl verloren gegangen sei und dies bestimmt weiterhin für Unfrieden für Urias Seele sorgen würde.
Abends wurden wir alle von den Dorfbewohnern zu einem Fest eingeladen und hatten gelegenheit mit den Gefolgsleuten Kinsbanes zu reden. Seine Gruppe wollte nach Ossum reisen, damit Kinsbane seine Familie dort besuchen könne. Irgendwann später würde sie ihr Weg allerdings nach Bataar, dieser wundersamen Insel im südlichen Meer führen.
Es sollte wohl so aussehen, dass wir etwas Zeit gewonnen hatten, war die Reise nach Urias‘ Wacht doch mehr ein Wettrennen, als eine Reise. Das Schiff nach Bataar war natürlich bereits vor ein paar Tagen aus Catar abgereist und das nächste würde frühestens in ein paar Monaten folgen.
Kinsbane ritt also zu Pferd nach Ossum und wir folgten ihnen zu Fuß. Gern wäre ich direkt nach Catar gereist, aber meine Gefährten sind offenbar nicht sonderlich gut zu Fuß, so dass sie lieber drei Tage in die falsche Richtung reisen um ein Schiff zu nehmen, als fünf Tage durch die Natür zu laufen und sich an ihren Geschenken zu erfreuen.
In Ossum angekommen, machten wir allerdings eine erstaunliche Entdeckung. Offenbar lag dort ein Kult-Schiff, das laut Calar hochseetauglich war. Wir mutmaßten sofort, dass Sir Kinsbane, seines Zeichens Kultist, sicherlich dieses Schiff nehmen könnte, um direkt nach Bataar aufzubrechen. Ob dies nun wirklich so geschehen wird, werden wir nie erfahren, aber es motivierte meine Mitstreiter dazu einen schnellen Weg nach Bataar finden zu wollen.
Wir nahmen in Ossum das Postschiff über Gornemünde nach Catar und trafen dort recht schnell ein. In Catar wollte Fergus unbedingt Wissen über bestimmte Schriftrollen bei der Akademie einholen und Walter hatte irgendwelche Befürchtungen verflucht worden zu sein, da er schlecht geschlafen hatte. Sie gingen also zur Akademie und erzählten uns am nächsten morgen Erstaunliches:
Walter hatte wohl recht. Urias‘ Schwert, welches er aus der Hexerhöhle entwendet hatte, hieß in wirklichkeit „Hexenhammer“ und sei laut der Aussage eines Magier der Akademie von einer aufgebrachten Seele besetzt.
Zumindest mir wurde mulmig bei dem Gedanken daran, dass nun nicht mehr Staubflügel der hexer, sondern wir persönlich für die fortgeführte Qual an der Seele Urias‘ schuldig sein sollten. Walter, aber auch die anderen ließ der Gedanke kalt. Wahrschelich ist so ein Schwert zu viele Goldstücke wert, um moralische Bedenken zuzulassen. Irgendetwas hat Walter jedenfalls davon überzeugt, dass er sich nur als würdig erweisen müsse, damit Urias‘ ihn irgendwann in Ruhe lässt. Bis dahin solle er eben Schutzgebete sprechen.
Über das Schicksal Urias‘ denkt er einfach nicht nach, wahrscheinlich als Schutzreflex, jetzt da wir erkannt haben, dass wir das Schwert mit hätten beisetzen müssen.
Wenn man zu lange Monster bekämpft, wird man dann selbst irgendwann zum Monster?
Fergus und Calar hatten die Nacht mit Forschern in der Akademie verbracht und konnten nun mit Erkenntnissen über Navigation und Seerouten auftrumpfen.
nun… ich muss zugeben, dass es mir vollkommen ausreicht, wenn mich ein Schiff endlich am rechten Fleck absetzt und ich auf dem Land sein kann.
Was diese Erkenntnisse aber brachten, war folgendes: Das Schiff war gezielt auf Gornemünde losgelassen worden. Es war mit magischen Runen so gesteuert, dass das Schiff nach Gornemünde treiben sollte und direkt dort seine untote Brut ablassen sollte.
Es war also nur der Anfang?
Fergus sagt jedenfalls, dass mit etwas Arbeit der Weg der „Schaumkrone“ zurückverfolgt werde könne. Zuerst mussten wir aber unserer Spur folgen und die führte nach Bataar. Wie wir erfuhren, war das Schiff nach Bataar erst vor zwei Tagen abgereist und es war nicht auf dem direkten Weg nach Bataar unterwegs, sondern fuhr erst nach Dragolad, der sagenhaften Heimat der Dragos.
Mir kam die Idee meinen neuen Freund den Dragohändler zu fragen, was er denn zu unserem Problem des verpassten Schiffs sagen würde. Er nannte uns einen Preis von 40 Goldstücken und unser Problem sollte der Vergangenheit angehören.
Es ist schön Freunde zu haben. Es wäre noch besser, wenn diese keinen Wucher betreiben würden, denn 40 Goldstücke können wir so schnell niemals auftreiben.
15
Mrz
…schon zwei Heldengruppen hatten innerhalb kürzester Zeit das Dorf erreicht und die Prüfung bestanden. Unter den Dorfbewohnern war eine intensive Diskussion im Gange, welches Vorgehen wohl das Edlere war: Einer Konfrontation mittels Heimlichkeit und nächtlichem Schleichen aus dem Weg zu gehen, oder im Zweifelsfall für das eigene Vorhaben und das Wohl Aller mit der Waffe in der Hand einzustehen?
Gerade wollte Orrlof Rabenzeh darauf hinweisen, dass die Gruppe um den Priester ja wenigstens sicher niemanden verletzen wollte, da ertönte der Warnruf vom Wachturm: Sir Kinsbane und die Seinen verließen gerade die Höhle!
Der Leichnam von Urias, dem Berg der Rabenbucht war geborgen, seine Seele aus dem Dunkel der Hexerhöhle befreit. Behutsam bahrte Paladin Khan den toten Körper vor dem Langhaus auf, während sein Freund Sir Kinsbane zu den Dorfbewohnern sprach:
„Unser Ziel haben wir hier nicht erreicht — Derkan Staubflügel hat nichts hinterlassen was uns hilft. Aber wir können einem Helden des Reiches endlich die letzte Ehre erweisen.“